Die wechselreiche Geschichte der Wilhelmstadtschulen

Wer an Berlin denkt, denkt an das Brandenburger Tor, an die Museumsinsel oder an andere typische Sehenswürdigkeiten. Doch auch abseits vom Stadtzentrum gibt es viel zu sehen. Nicht zuletzt die Zitadelle Spandau sei hier genannt. Hinzu kommen noch unzählige Orte vergessener historischer Begebenheiten. Dazu gehört auch die ehemalige Train-Kaserne, die heute von den Wilhelmstadtschulen als Schulgebäude genutzt wird. Von den Anwohnern wissen aber nur die wenigsten, dass es hier ein berüchtigtes Kriegsverbrechergefängnis samt Militärstützpunkt gab.

Eine Vergangenheit von mehr als 150 Jahren

Die Entstehungsgeschichte des Geländes reicht bis in die 1860er Jahre zurück. Damals baute man hier das preußische Militärgefängnis. In ihr saßen Militärangehörige für höchstens sieben Tage ein, danach erfolgte ihre Verlegung in ein Militärgefängnis in Brandenburg. Erst zwei Jahrzehnte später wurde das eigentliche Kasernengelände gebaut. Nach dessen Fertigstellung 1886 zog das Train-Bataillon Nr. 3 der kaiserlichen Truppen ein, daher hieß der Stützpunkt auch Train-Kaserne. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war die Liegenschaft Teil der Kriegsmaschinerie des Deutschen Kaiserreiches. Es folgte nach der Niederlage 1918 die Weimarer Republik und 1933 die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Jedoch ist über die Nutzung zwischen dem Ersten sowie dem Zweiten Weltkrieg nicht viel bekannt. Was man weiß: in den 30er Jahren war zunächst ein Artillerieregiment hier stationiert. Während der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges nutzten hingegen Pioniere der Wehrmacht die Anlage als Stützpunkt. Ihre Aufgabe bestand darin, durch Zerstörung der gegnerischen Infrastruktur den Feind zu schwächen sowie durch den Aufbau eigener Infrastruktur die Mobilität der eigenen Truppen zu erhöhen.

Betondächer und abrutschende Fliegerbomben

Die nach 1933 einsetzende Bauwut von Hitlers Gefolgsleuten machte auch vor den Toren der Kaserne nicht halt. So verstärkten die Nationalsozialisten als Teil der Kriegsvorbereitungen einige Dächer der heutigen Schulen mit Betonpfeilern. Dadurch wären bei einem Luftangriff die Bomben beim Aufprall nicht in die Häuser eingedrungen, sondern schlicht abgerutscht. Allenfalls Glasschäden hätte es gegeben. Als sich der Zweite Weltkrieg jedoch dem Ende zuneigte, ließ die Wehrmacht Haus 34, im dem heute das Wilhelmstadt Gymnasium untergebracht ist, in ein Lazarett umfunktionieren. Darauf deutet zumindest ein bei Renovierungsarbeiten entdecktes altes Schild an einer Eingangstür hin.

Es folgte die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und ein Besitzerwechsel, als 1948 britische Streitkräfte die Kasernen besetzten. Fortan hieß das Gelände „Smuts Barracks“, benannt nach dem Feldmarschall Jan Christiaan Smuts. Das ehemalige preußische Militärgefängnis nutzten die Siegermächte seitdem als Haftanstalt für deutsche Kriegsverbrecher.

Die Nachnutzung durch Wachmannschaften der „German Service Organisation“

Im Kalten Krieg wurden das geteilte Berlin zum Schauplatz der Rivalität zwischen Ost und West. Westliche Besatzungstruppen als auch die Rote Armee festigten in der ehemaligen Reichshauptstadt zunehmend ihre Militärpräsenz. Die Briten gründeten deshalb 1950 die „German Service Organisation“ (GSO). Sie bestand aus deutschen Staatsangehörigen und war für die Bewachung der Liegenschaften der britischen Armee zuständig. Das ehemalige Lazarett in Haus 34 funktionierten die GSO-Einheiten in ihr Hauptquartier um. Wo heute in der Kita Kinderparadies Kinder spielen und sich die Wilhelmstadt Grundschule sowie die Oberschule befinden, schliefen die GSO-Angehörigen. Im Neubau bzw. dem „Haus der Wissenschaft“ befand sich sogar eine Panzerreparaturwerkstatt.

Die Wachmänner der German Service Organisation waren in zwei Kompanien gegliedert, wovon jede abwechselnd zum Küchendienst antreten musste. Es war den damaligen Verhältnissen geschuldet, dass sie anfangs mit Holz und Koks beheizten Öfen kochen mussten. Später genossen sie im selben Gebäude auch entspannte Abende an der Bowlingbahn. Hatten die Wachmänner Kinder, so konnten sie diese im hauseigenen Kindergarten unterbringen. Heute ist in diesem Gebäude die Verwaltung der Schule angesiedelt. Wo früher in der Offiziersmesse die Vorgesetzten speisten und unter sich blieben, zog später die Jugendakademie der Künste (JAK) ein.

Bekannt war die GSO unter britischen Soldaten auch für ihre Hundestaffel. Davon zeugt der Spitzname der Vierbeiner: „Biters and Barkers“ (deutsch: Beißer und Beller) nannte man sie. Während aber im Hundezwinger trainiert wurde, saß nebenan im Kriegsverbrechergefängnis Spandau der letzte Gefangene ein: Rudolf Heß, nach Adolf Hitler die ehemalige Nummer zwei in der NSDAP. Bereits 1946 hatten die Siegermächte die Haftanstalt übernommen. Neben Heß verbüßten weitere namhafte Nazi-Funktionäre wie der Architekt Albert Speer hier ihre Haftzeit. 1966 wurden, mit Ausnahme von Heß, die letzten Gefangenen entlassen. Er saß lebenslänglich ein, wodurch der Sinn und Zweck des Gefängnisses ausschließlich in seiner Inhaftierung bestand. Bereits zu Heß` Lebzeiten beschloss man den Abriss des Bauwerks, wartete aber bis zu seinem Ableben. Als dieser sich 1987 mit 94 Jahren das Leben nahm, begannen noch im selben Jahr die Abrissarbeiten. Nichts sollte an diesem geschichtsträchtigen Ort mehr an ihn erinnern, es sollte keine Pilgerstätte für Nationalsozialisten entstehen. So ließ man auch den Straßenverlauf der Wilhelmstraße ändern und verlegte sogar ein Eisentor der Smuts Barracks. Deshalb deutet mehr als dreißig Jahre nach dem Selbstmord von Rudolf Heß dort nichts mehr auf das einstige Kriegsverbrechergefängnis hin.

Die Folgen des Mauerfalls

1989 fiel die Mauer, 1990 erfolgte die deutsche Wiedervereinigung. Dadurch erlosch der Sonderstatus des geteilten Berlins und mit ihr auch der Sinn militärischer Präsenz der Briten. Mit dem Ende des Kalten Krieges zog die nun GSU (German Security Unit) heißende Einheit bis 1994 endgültig aus.

Es sollte ein Jahrzehnt dauern, bis mit der Eröffnung des Wilhelmstadt Gymnasiums 2004 wieder Leben in das verlassene Kasernengelände eingehaucht wurde. 2006 folgte die Eröffnung der Realschule, die sich mittlerweile zu einer Oberschule für rund 130 Schülerinnen und Schüler entwickelt hat. In der 2014 gegründeten Grundschule können die Kinder bereits ab der ersten Klasse erste Englischkenntnisse sammeln. Durch die ebenfalls 2014 feierlich eröffnete Schulmensa ist nun die Versorgung der Schüler mit vor Ort frisch zubereiteten Mahlzeiten gewährleistet. Da hier neben dem Mittagessen auch Frühstück angeboten wird, können die Eltern auf das vorbereiten von Pausenbroten verzichten. Die Kinder und Jugendlichen werden während des Tages auf dem Bildungscampus  bestens versorgt.

Die alte Panzerreparaturwerkstatt wurde aufgestockt und von Grund auf neu gestaltet. Das Bauwerk verfügt nun über großzügig ausgestattete Räumlichkeiten für die naturwissenschaftlichen Schulfächer. Auch Arbeitsgemeinschaften und Projektarbeit wie das „Selbstständige Experimentieren“ und „I Robot“ finden dort statt. Mit der Kita Kinderparadies wurde das Bildungsangebot auf dem Campus für alle Kinder und Jugendlichen von 3 bis 18 Jahren erweitert. Eine weitere Kindertagesstätte für über 200 Kinder befindet sich gegenwärtig im Bau.

Wo in der Vergangenheit Soldaten und Kriegsgefangene untergebracht waren, ist ein Campus mit vier Bildungswegen entstanden. Kinder und Jugendliche profitieren hier von einer angenehmen und abwechslungsreichen Lernatmosphäre, die dem Motto „Wir leben Bildung“ mit jedem Tag gerecht wird.